February 26, 2021

Open Banking und Open Insurance

Ein Blick auf Ökosysteme der benachbarten Branche

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Digitalisierung

Ökosystemangebote versprechen ein immenses Innovations- und Erfolgspotential. Darüber ist man sich weitestgehend einig. Längst nicht nur Versicherer sehen sich in der Pflicht, die Bedürfnisse ihrer Kunden noch besser zu verstehen, um hierfür Ökosystemangebote zu kreieren und sich in entstehenden Ökosystemen zu positionieren oder sogar neue zu initiieren. Das ist im besonderen Maße anspruchsvoll, da „Versicherung“ kein Produkt ist, das von Kunden originär nachgefragt wird. Vielmehr ist die Nachfrage stets derivativ, d.h. sie leitet sich aus den Handlungen der Menschen ab. Diese Gegebenheit erschwert es Versicherern beispielsweise, Orchestrator eines Ökosystems zu werden; auch wenn es nicht unmöglich ist. Umso wichtiger erscheint es für Versicherer, fortwährend zu analysieren, wo relevante und erfolgversprechende Ökosystem-Initiativen entstehen, um die Frage zu beantworten, wie man selbst Teil dieser Ökosysteme werden kann. Vor diesem Hintergrund lohnt der Blick in eine nahegelegene und artverwandte Branche, die zuletzt durch einen regulatorischen Vorstoß eine große Dynamik im Bereich der Ökosystem-Thematik erfahren hat: die Finanzbranche.  

PSD2: Vorstoß in das Zeitalter des Open Bankings  

Mit der im letzten September vollständig in Kraft getretenen Zahlungsdiensterichtlinie PSD2 versuchte die EU nicht weniger als den Zahlungsverkehrsmarkt zu einem digitalen Ökosystem für Finanzdienstleistungen weiterzuentwickeln und die Tür in das Zeitalter des Open Bankings aufzustoßen. Die zweite Fassung der Payment Service Direktive diente u.a. dazu, die Weichen für einen bidirektionalen Datenzugriff zu stellen und es auch Drittanbietern zu ermöglichen, eine holistische Sicht auf den Kunden zu erlangen. Start-ups, BigTechs, Dienstleister und Unternehmen anderer Branchen haben mit einer PSD2-Lizenz und der Zustimmung des Kunden Zugriff auf dessen Kontodaten. Diese neu verfügbaren Daten im Zusammenspiel mit aufkommenden technologischen Entwicklungen wie API, AI und Data Analytics führen, so wird es zumindest bezweckt, zu mehr Innovationen, die sich in neuen Produkten, Services und Geschäftsmodellen manifestiert und die weit über den reinen Zahlungsverkehr und die Grenzen des traditionellen Bankings hinausgehen. Diese Entwicklung fördert die Entstehung und das Wachstum von Ökosystemen, in denen Nutzer viele ihrer Bedürfnisse durch integrierte Leistungen in einem aufeinander abgestimmten und weitgehend friktionslosen Kundenerlebnis befriedigen können.  

Freier Zugang zu Kunden- und Transaktionsdaten für Drittanbieter

Durch die Zugriffsmöglichkeit auf Kundendaten für Dritte findet eine gewisse Liberalisierung des Marktes statt. Start-ups können plötzlich Services anbieten, die bisher nur Banken vorbehalten waren. Eine naheliegende Ergänzung des eigenen Geschäftsmodells gab so beispielsweise das FinTech OptioPay bereits mit dem vollständigen Inkrafttreten von PSD2 im September 2019 bekannt. Das FinTech hatte sich bis dahin auf die Optimierung von Auszahlungen konzentriert. Statt einem Geldbetrag erhält der Kunde die Option, einen Mehrwert-Gutschein für einen von zahlreichen Onlinehändlern in einem gesteigerten Wert auszuwählen. Die dazu passende White-Label-Lösung adressierte Unternehmen aus unterschiedlichen Industrien, auch die Versicherungswirtschaft bot sich u.a. durch die Schadenauszahlungen an. Als einer der ersten hat das Berliner Start-up die Lizenz als Zahlungsdienstleister für Kontoinformationsdienste von der BaFin erhalten und die Auszahlungsplattform rund um Gutscheine mit OptioBanking erweitert. Der neue Dienst gibt Kunden, nach deren Zustimmung und erfolgter Analyse der Kontodaten, personalisierte Spar- und Finanzempfehlungen, die um Mehrwert-Gutscheine für Onlinehändler ergänzt werden können.

Für Versicherer wird das Start-up, das bereits mit einigen Branchenakteuren kooperiert, dank der neuen Lizenz nochmals interessanter. Sie profitieren, wenn sie die White-Label-Lösung der Open-Banking-Plattform einsetzen, von neuen Kundendaten, Umsatzkanälen, höherer Kundenzufriedenheit und -bindung und nutzen ganz bequem mit dem Banking-Tool die Chancen der PSD2-Verordnung.

Die Use Cases sind zahlreich: Bemerkt die Technologie beispielsweise, dass ein Kunde zum ersten Mal Kindergeld erhält, wird er auf konkrete Steuererleichterungen oder auf passende Versicherungsangebote hingewiesen. Kauft ein Nutzer häufig bei einem Händler, werden ihm Mehrwert-Gutscheine bei diesem oder ähnlichen Händlern angeboten. Auch für einen günstigere Stromversorger oder eine passende Anlagemöglichkeit können Kunden eine Empfehlung erhalten, wenn OptioBanking Einsparungspotential identifiziert. Das Cross- und Up-Selling-Potential für Versicherer ist erheblich, aber noch wichtiger erscheint die Möglichkeit für sie, damit einen Schritt in Richtung „Financial Homes“ zu gehen und für Verbraucher mittels digitaler Plattform einen zentralen Anlaufpunkt für Finanz- und Versicherungsangebote zu bieten. Diese Plattform könnte sukzessive durch die weitere Integration strategischer Partner mit attraktiven Angeboten aus verschiedenen Bereichen ergänzt und zu einem Ökosystem ausgebaut werden.

Contextual Banking

Andere Unternehmen nutzen den regulatorischen Vorstoß und bieten Finanzprodukte genau dort und in dem Moment an, wo der Kunden sie im Rahmen seiner Customer Journey benötigt: Konkrete Vorschläge zur Finanzierung werden direkt in den Suchprozess und Produktvergleich eingebunden und der Zahlvorgang wird beispielsweise nahtlos in den Kaufprozess integriert. Aus Kundenperspektive entwickelt sich der Markt weg vom ursprünglichen „Kaufhaus-Banking“ hin zu einer Art „Cherry-Picking“, dem situativ-kontextuellem Nachfragen individuell passender Produkte. Das Rennen werden dabei die Anbieter machen, die dies geschickt und nutzerfreundlich zusammenführen.

Ein Beispiel findet sich in Check24: Deutschlands größtes Vergleichsportal gründet dank erhaltener Vollbanklizenz seine eigene Bank „C24“ und bleibt dabei seinem Plattformansatz treu. Nach eigenen Aussagen handelt es sich um den ersten Schritt zu einer Open-Banking-Plattform.

Ab Oktober diesen Jahres werden die ersten Kunden darauf zugreifen können. Zunächst erhalten sie, ähnlich wie bei anderen NeoBanken, nur ein Girokonto mit EC-Karte. Im Rahmen der eigenen Open-Banking-Plattform wird die C24 Bank neben ihren eigenen Kernprodukten auch Finanzprodukte und -Services von FinTechs, Dienstleistern und anderen Banken anbieten. Der Kunde kann sich individuell passenden und aus dem Preisvergleich bekannte Finanzprodukte von Drittanbietern auswählen, um sein C24-Giro-Konto zu ergänzen. Die C24 Bank profitiert von der Einbindung von Drittanbietern von Beginn an. Und zwar mehrfach: Dank C24-Konto erfährt Check 24 noch intimere Details über seine Kunden, die gleichzeitig aufgrund des umfangreicheren Angebots und der hohen Interaktionsrate stärker ins Check24-Ökosystem eingebunden werden.

Die Bedingungen scheinen dabei denkbar günstig: Check24 verfügt, im Vergleich zu anderen Bank-Start-ups, bereits über einen großen Kundenstamm und über ausreichend finanzielle Mittel. Damit könnte C24 in kurzer Zeit zum relevanten Wettbewerber für Open-Banking-Akteure werden.

API Plattform & Premium-APIs

Immer mehr Banken erkennen die Marktchancen, die ihnen eine Öffnung nach außen bietet. Einige Finanzhäuser treten bereits mit Premium-APIs in den Wettbewerb um die Anbindung von externen Partnern. Da die PSD2-Schnittstelle einen europaweiten Standard bildet und Akteure aus verschiedenen Ländern schlagartig zu Konkurrenten werden, dient im Folgenden die spanische BBVA als Beispiel:

Das Finanzinstitut BBVA entwickelte als eine der ersten Großbanken einen API-Marktplatz für die kommerzielle Bereitstellung von acht API`s und übertrifft damit die regulatorischen Vorgaben durch PSD2 deutlich. Unternehmen, Start-ups und Entwickler werden in die Lage versetzt, neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, indem sie auf die Bankdaten der Kunden zugreifen und diese in ihre Anwendungen integrieren. Die entstehenden neuen Services können dann wiederum zum Beispiel Kunden der BBVA zur Verfügung gestellt werden. Ziel der Banken ist dabei einerseits, ihre Daten und Plattformen zu monetarisieren, andererseits so aber auch ein eigenes Ökosystem zu erschaffen.

Die Einführung des BBVA API Marktplatzes erfolgte, nachdem die spanische Bank mehr als ein Jahr lang mit Entwicklern und Unternehmen zusammengearbeitet hat, um die Art und Weise zu optimieren, wie der offene API-Service bereitgestellt werden soll. Während dieser Pilotphase haben sich über 1.500 Unternehmen und Entwickler beim Versuchsportal registriert, um sich aus erster Hand ein Bild von den Möglichkeiten zu machen, die die APIs der BBVA ihren Unternehmen bieten können. Von nun an können Unternehmen die in Spanien verfügbaren APIs unter anderem dazu nutzen, neue Mehrwertdienste zu schaffen, bessere Benutzererfahrungen durch verbesserte Konvertierungs- und Onboarding-Prozesse zu bieten, Zahlungen zu verwalten, Identitäten zu überprüfen, Benachrichtigungen weiterzuleiten oder Verbrauchergewohnheiten und kommerzielles Verhalten zu analysieren. So entsteht nicht zuletzt ein neuer digitaler Vertriebskanal für die BBVA und laut Unternehmensangaben ein Schlüsselelement ihrer Transformationsstrategie.

Beyond Banking/ Insurance

Trotz der regulatorischen Öffnung der Konteninfrastruktur steht die Entwicklung eines weitreichenden Open-Banking-Ansatzes noch am Anfang. Die Transformation von einem zentralisierten System zu einer offenen Architektur fordert von traditionellen Akteuren, sich zu beweisen und neu in der digitalen Finanzwelt zu positionieren und eröffnet gleichzeitig unzählige Möglichkeiten, die branchenfremde wie bekannten Akteuren ganz unterschiedlich nutzen. Die gewählten Beispiele, sei es vom Start-up, einer erfolgreichen Plattform oder einem etablierten Branchenakteur, zeigen unterschiedliche Facetten und Positionierungsmöglichkeiten auf dem Weg in ein florierendes Ökosystem und beweisen, dass es jedem Akteur ungeachtet seiner Größe gelingen kann, sich neu zu erfinden.

Für Banken besteht, ähnlich wie für Versicherer, die Herausforderung im Besonderen darin, dass sie bei Standardleistungen kaum noch wahrgenommen werden und sie die Kundenschnittstelle zunehmend an den Betreiber der Plattform bzw. den Retailer verlieren. Banken wie Versicherer sind jetzt gefordert, ihren Platz in der aufkommenden Ökosystemlandschaft zu finden. Wollen sie selbst zum Betreiber einer Plattform werden, ist es wesentlich, dass sie die Kundenbedürfnisse ganzheitlich verstehen und in Kooperation mit komplementären Akteuren ein „Beyond Banking/ Insurance“ Angebot gestalten. Genauso attraktiv kann allerdings auch die Weiterentwicklung des eigenen Geschäftsmodells, die Anreicherung mit neuen Services und Produkten oder die Integration in bereits bestehende Ökosysteme und Plattformen sein.

Nur durch die beherzte Weiterentwicklung des eigenen Geschäftsmodells können traditionelle Akteure langfristig ihre Relevanz an der Kundenschnittstelle verteidigen, ihre Reichweite erhöhen und neue Kunden- und Geschäftspotenziale erschließen. Egal welche Rolle eine Bank (oder eine Versicherung) einnimmt, entscheidend ist es, eine holistische Sicht auf den Kunden, seine Lebenssituation und die ihn umgebenden Customer Journeys zu erlangen. Das bildet die Voraussetzung, um kundenzentrierte Mehrwerte zu gestalten und die richtigen strategischen Partner auszuwählen, sei es für den Aufbau eigener oder die Integration in bestehende Ökosysteme.

Marianne Kühne

Versicherungsforen Leipzig

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